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Warum Bindung nichts mit Liebe zu tun haben muss

von | 27.02.2023 | 3 Kommentare

Die meisten unserer Klientinnen und Klienten haben Schwierigkeiten mit ihren Beziehungen. Bindungsverletzungen sind ein wesentlicher Bestandteil von Entwicklungstrauma und zeigen sich am deutlichsten in Liebesbeziehungen.

Manche Betroffene haben Angst, überhaupt in Beziehung zu gehen. Andere sind in Beziehungen, die sie unglücklich machen – die sie aber dennoch nicht verlassen können. Sie hoffen auf den Moment, wo es nicht mehr weh tut, um dann zu gehen.

Das Problem ist, dass dieser Moment nie kommen wird – außer: Man verliebt sich neu.

Das Gefühl, die andere Person nicht verlassen zu können, wird oft damit verwechselt, dass man dann die andere Person wohl noch liebt. Doch Liebe und Bindung haben nicht zwangsläufig etwas miteinander zu tun. Es gibt Bindung ohne Liebe und Liebe ohne Bindung.

Diese Unterscheidung zu verstehen ist von großer Bedeutung, wenn wir mit Menschen arbeiten oder vielleicht selbst in einer solchen Situation sind.

Konrad Lorenz und seine Gänse

Vielleicht kannst du dich noch an die Entdeckung der “Prägung” durch Konrad Lorenz erinnern? Er beobachtete ein Gänseküken beim Schlüpfen aus dem Ei. Diese kleine Gans folgte ihm von da an überallhin. Das Gänsekind ließ sich nicht dazu bewegen, sich der Gänsemutter anzuschließen und bei dieser zu bleiben. Dieses Phänomen war bis dahin unbekannt und wurde “Prägung” genannt. Man könnte sagen, dass hier die Biologie der Bindung “entdeckt” wurde.

In den Bindungstheorien ist man sich heute relativ sicher, dass es einen biologischen Aspekt der Bindung gibt. Dies hat nichts mit den Bindungstheorien der Bindungsstile zu tun, sondern mit dem Aspekt, dass Menschen sich binden wollen und es ein biologischer Imperativ ist, dies zu tun.

Ein neugeborenes Baby bindet sich an die Mutter, wenn es geboren wird. Man weiß, dass eine Mischung aus verschiedenen Hormonen an dieser Bindung beteiligt ist, sowohl bei der Mutter als auch bei dem Kind. Das wichtigste Hormon dabei ist Oxytocin.
Ist die Geburt sehr stressig, wird die Mutter narkotisiert oder wird die Zeit direkt nach der Geburt gestört, so kann es zu Bindungsstörungen kommen, die z.T. langfristige Auswirkungen auf unser Leben haben.
Diese erste Bindung ist sehr stark durch unsere Biologie geprägt und beeinflusst. Für das Baby ist diese Bindung überlebenswichtig. Es wird alles tun, um diese Bindung aufrechtzuerhalten.

Früher sah man Babys als passiv Empfangende. Heute weiß man, dass Babys die Bindung hochaktiv mitgestalten.

Sind die Eltern, in der ersten Zeit besonders die Mutter, dazu fähig, empathisch auf das Kind einzugehen, sich einzustimmen und die Bedürfnisse des Kindes “genügend gut” zu erfüllen, so wird das Baby ein Gefühl von Willkommensein und Sicherheit entwickeln.

Es kann im Leben, im eigenen Körper und den es umgebenden verlässlichen Beziehungen landen. Es fühlt sich genährt und satt, sowohl auf körperlicher als auch auf psychischer Ebene. Das Baby bekommt die Sicherheit, dass alles, was es braucht, auch da ist.

Aus Sicherheit und Bindung entsteht die Lust an der Welt

Aus dieser Sicherheit und Bindung heraus lernt das Kind langsam und mit wachsendem Alter den Unterschied zwischen Ich und Du. Anfangs kann das Baby noch nicht zwischen sich selbst und seinen Bezugspersonen differenzieren. Mit der Zeit lernt das Kleinkind, ein Ich zu spüren und seinen eigenen Raum zu fühlen.

Es fängt an, seine Welt zu entdecken, braucht dafür aber immer noch die Sicherheit und Unterstützung der Eltern. Wenn das Kind autonomer wird, tritt es langsam aus der energetischen “Blase” der Mutter heraus und entwickelt einen eigenen Raum – seine eigene Blase.
Dies ist oft ein schwieriger Übergang, da Eltern einerseits noch da sein und unterstützend eingreifen müssen und andererseits das Kind auch seine eigenen Wege und Entdeckungen machen lassen müssen. Dies schließt auch ein, dass es sich einmal weh tun darf und seine Grenzen entdeckt.

Manche Eltern können ihr Kind nicht autonomer werden lassen. Sie schränken die Entdeckungslust – das sog. Explorationsverhalten – massiv ein, indem sie dem Kind vermitteln, dass die Welt ein schlimmer und gefährlicher Ort ist und es nur “zu Hause” sicher ist. Oder sie halten das Kind durch Schuldgefühle an sich gebunden: “Nun lässt du Mama also alleine …”

Mangel führt zu vorschneller Bindung

Viele Menschen und fast alle unserer Klienten haben in dieser frühen Zeit keine optimale Bindung erlebt und unterschiedlichste Bindungsverletzungen erfahren.

Das hat zur Folge, dass diese Menschen später mit einem Gefühl von Mangel und Unsicherheit in ihre Beziehungen gehen. Sie binden sich an Menschen, wenn diese ihnen Freundlichkeit, Aufmerksamkeit und Interesse entgegenbringen. Und sie lassen sich dadurch häufig auf Intimität ein, bevor sie den anderen Menschen richtig kennengelernt haben.

Sie binden sich.

Wird aus dieser Bindung eine Partnerschaft, so stehen meist Sicherheit und die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse im Vordergrund. Die meisten Menschen mit diesem Hintergrund haben große Verlassenheitsangst, fühlen sich ungenügend, sind vielleicht eifersüchtig. Sie können auch große Probleme damit haben, sich selbst unabhängig von ihrem Partner oder ihrer Partnerin (und umgekehrt) zu sehen.

Wenn Betroffene mit der Zeit ihre (dann bereits) Partnerin oder ihren Partner besser kennenlernen, merken sie leider manchmal dann erst, dass es entweder nicht passt oder es sogar eine für sie schädliche Verbindung ist. Sie wissen dann, dass sie sich trennen sollten – können es aber nicht.

Die meisten von uns haben im Laufe des Lebens schon einmal in einer solchen schwierigen Situation gesteckt. Wir merken, dass uns eine Beziehung nicht (mehr) gut tut, und wissen, dass wir uns trennen sollten.

Und schaffen es nicht.

Wir glauben dann oft, dass wir den Partner oder die Partnerin doch noch lieben und dass wir noch warten sollten, bis es irgendwann nicht mehr weh tut, um dann zu gehen. Das kann Jahre an Lebenszeit kosten und ist ein innerer Konflikt, in dem viele unserer Klienten feststecken.

Hier werden Bindung und Liebe verwechselt.

Wenn die Welt eng wird

Bindung kann dazu führen, dass die Welt sehr eng wird. Menschen sind dann vollkommen auf ihren Partner fixiert und können nicht mehr fühlen, was sie sonst noch im Leben haben. Je enger ihr Fokus wird, desto mehr Ängste haben sie, verlassen zu werden oder die Beziehung aufgeben zu müssen.

Erst, wenn wir es therapeutisch schaffen, die Welt unserer Klienten wieder größer werden zu lassen, und diese sich wieder in einem Netz von Beziehungen und Bezügen sehen können, in denen ihre Beziehung ein (wichtiger) Faktor ist, aber eben nicht das Einzige, können sie sich aus ungesunden Beziehungen lösen.

Bindung zu durchbrechen tut immer weh. Dieser Schmerz hat nichts mit Liebe zu tun, sondern mit der Bindung, die wir eingegangen sind.
Dies unterscheiden zu können, ist ein wichtiger Faktor, um Beziehungen besser einschätzen und die eigenen Gefühle bewerten zu können. Deshalb ist Psychoedukation hier von großer Bedeutung.

Partnerschaft oder Tauschhandel?

Partnerschaften, die unter dem Einfluss von Entwicklungstrauma stehen, sind oft geprägt von frühkindlichen Bedürfnissen, die Erfüllung suchen.
Das ist bis zu einem bestimmten Grad normal und okay. Es muss nicht zwangsläufig hinderlich für eine Beziehung sein, da wir alle auch Mangel erfahren haben und diesen später mit in unsere Beziehungen tragen.
Wichtig ist dabei, dass den PartnerInnen bewusst ist, welche Verletzungen und Auswirkungen sie mit in die Beziehung bringen und wie sich diese zeigen.

Je unbewusster und verletzter Menschen in eine Partnerschaft gehen, desto eher kann es passieren, dass sie den Mangel und die Verletzungen auf ihre PartnerInnen projizieren und ihre Enttäuschung ausagieren.

Gesunde Autonomie heißt, andere Menschen zu brauchen

Die therapeutische Beziehung ist für manche Menschen die erste verlässliche und sichere Beziehung ihres Lebens.
Ich werde in Fortbildungen oft gefragt, ob es nicht schädlich für Klienten sei, wenn sie sich an uns als Therapeutinnen und Therapeuten binden und uns brauchen, und ob man das nicht irgendwie verhindern sollte, damit die KlientInnen autonom bleiben.

Autonomie wird in unserer Gesellschaft leider meist vollkommen falsch verstanden. Gesunde Autonomie bedeutet, dass man in Kontakt und Beziehung treten, Intimität und Nähe leben und bei Bedarf um Hilfe bitten kann. Gesunde Autonomie bedeutet, auch alleine sein zu können, eine eigene Meinung zu haben und für sich einstehen zu können.

Viele Menschen haben eine ungesunde Form der Autonomie entwickelt. Sie haben erlebt, dass ihre primären Bezugspersonen nicht verlässlich waren und sollten viel zu früh Dinge tun, die sie noch gar nicht konnten. Es ist eine fragile Form von Autonomie, die davon geprägt ist, nicht um Hilfe bitten zu können, keine Nähe und Intimität zulassen zu können und sich als getrennt von anderen Menschen zu erleben.

Wir können gesunde Autonomie nur entwickeln, wenn wir uns auch einmal abhängig fühlen und jemanden brauchen durften. Menschen, die als Kinder nie eine sichere Bindung erlebt haben, in der sie auf eine gute Art “abhängig” sein konnten – was normal für Kinder ist – sind als Erwachsene immer auf der Suche nach Anbindung oder werten jede Art von Bindung ab.

Die therapeutische Beziehung kann also ein wichtiger Baustein sein, um einmal zu erleben, dass es nur um die eigene Person geht und dass es okay sein kann, jemanden eine Zeit lang zu brauchen.
Verläuft dieser Prozess gut, dann werden unsere Klienten uns irgendwann (und das nicht erst nach 10 Jahren) zufrieden verlassen und eine gesündere Form von Autonomie und Beziehung entwickelt haben.

Wenn Bindung erwachsen wird

Wenn Bindungsverletzungen und der tiefe Mangel mehr und mehr aufgearbeitet und integriert sind, wird der Weg frei, das Gegenüber mehr zu sehen und wahrzunehmen, dass sie oder er ein eigenständiger Mensch ist.

Erst dann sind wir Menschen dazu fähig, uns selbst, unsere eigenen Grenzen, Gedanken und Gefühle innerlich zu spüren, auch wenn wir im Kontakt mit anderen Menschen sind. Nur dann können wir auch bei intimer Nähe noch wahrnehmen, dass “ich ich bin und du du”.
Im Grunde ist es erst dann wirklich möglich, Intimität herzustellen. Denn Intimität braucht ein Ich und ein Du, die sich begegnen können.

In einer solchen Beziehung verändert sich der Fokus.

Paradoxerweise ist es erst dann möglich, vollständig für den Partner oder die Partnerin da zu sein – ohne sich selbst aufzugeben. Wir können uns selbst erlauben ganz Ich zu sein, auch mit Gedanken und Bedürfnissen, die nicht im vollkommenen Einklang mit unserem Gegenüber sind. Es ist uns möglich, Unterschiedlichkeiten auszuhalten und Spannung zuzulassen.

Aus Bindung kann Liebe werden.

Liebe wünscht sich Glück für den geliebten Menschen

Liebe wünscht sich immer Glück für den geliebten Menschen. Sogar dann, wenn dieser Mensch teilweise oder womöglich ganz eigene Wege gehen muss, die ihn oder sie von uns wegführen.
In einer solchen Form von Beziehung können wir unser Gegenüber in seinen eigenen Wünschen und Träumen unterstützen, auch wenn es bedeutet, dass man etwas verliert.

Liebe ist für mich eine offene Entwicklung. Es ist ein Weg ohne Ende. Wir alle befinden uns irgendwo auf diesem Weg von Bindung zu Liebe. Und letztlich können wir nicht einmal für uns selbst wirklich beurteilen, wo wir uns befinden. Wir können nur fühlen, was wir fühlen und können keine Gefühle vorwegnehmen, die wir vielleicht erst in einigen Jahren kennenlernen. Unsere Annahme ist immer, dass wir wissen, wie sich etwas anfühlt. Doch dem ist nicht so, in dem Sinne, dass Gefühle in ihrer Qualität extrem veränderlich sein können.

Es ist wichtig, dass wir unseren Klientinnen und Klienten helfen, dies zu verstehen. Es geht dabei nicht darum, sich selbst zu bewerten oder gar abzuwerten. Es geht vielmehr darum, sich immer mehr zu verstehen und zu erkennen, aus welchen Beweggründen heraus wir uns (in Beziehungen) verhalten.

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3 Kommentare

  1. Liebe Dami, erst einmal nur mein tief empfundenes DANKE!

    Antworten
  2. Liebe Dami,
    herzlichen Dank für diesen Beitrag. Eine Nachfrage: Oben schreibst Du: „Es gibt Bindung ohne Liebe und Liebe ohne Bindung.“ Während mir beim Lesen klar geworden ist, dass oft Bindung ohne Liebe passiert, bleibt bei mir die Frage offen, was mit „Liebe ohne Bindung“ gemeint ist. Magst Du das noch erläutern?

    Antworten
    • Damit ist gemeint, dass du jemanden lieben kannst, dich aber nicht an die Person bindest. Es ist einfach Liebe, ohne jemanden z.B. als Partner/in haben zu wollen oder sogar ohne viel Kontakt zu haben.

      Antworten

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