Überzeugungen, die am Leben hindern

„Glaubenssätze sind Überzeugungen, die wir für wahr halten!“ Dieser Satz bringt das grundlegende Problem auf den Punkt. Wenn Menschen etwas für wahr halten, dann hinterfragen sie es nicht mehr. Es ist einfach eine Tatsache, mit der sie leben.

Das Seltsame an uns Menschen ist, dass selbst dann, wenn wir etwas Gegenteiliges erfahren, dies oftmals nichts an der inneren Überzeugung ändert.

Vorab ein kurzer Hinweis: Dieser Text richtet sich an Therapeuten. Wenn du selbst zu den Betroffenen gehörst und wissen möchtest, wie du negative Glaubenssätze auflösen kannst, findest du einen Beitrag in meinem Blog für Betroffene.

Innere Realität gegen äußere Realität – wer gewinnt?

Hält ein Mensch sich für hässlich, dann kann er oder sie oftmals hunderte Male ein Kompliment hören, es kommt nicht wirklich an. Menschen halten meist unglaublich stark an ihren Überzeugungen fest und sind auch durch Wahrheiten oder alternative Interpretationsangebote meist nicht zu überzeugen.

Dieses Phänomen fasziniert mich schon lange.

Gerade in der Arbeit mit Klient*innen stoßen wir hier oft an unsere Grenzen, weil Menschen so stark an der Überzeugung festhalten, Schuld an etwas zu haben, dumm, hässlich oder nicht liebenswert zu sein. Wir sitzen ihnen gegenüber und sehen wundervolle Menschen, die liebenswert und attraktiv sind und dringen nicht zu ihnen durch.

Wir sehen zu, wie sie sich durch ihre Überzeugungen das Leben zur Hölle machen. Ich persönlich habe mich dabei schon oft hilflos gefühlt. Manchmal scheint es mir ein bisschen so, als würde ich einem Unfall in Zeitlupe zuschauen und ihn nicht aufhalten können.

Wie lange dauert es, eigene negative Überzeugungen zu verändern?

Dann muss ich an mich selbst denken und wie viel Zeit es mich gekostet hat, meine eigenen Überzeugungen aufzugeben, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist, ich dumm und hässlich bin und nicht liebenswert. Diese Reise, wirklich zu erkennen, dass das meiste, was ich als Kind über mich und die Welt gelernt habe, so gar nicht stimmt, hat lange gedauert.

Warum haben wir überhaupt Überzeugungen, die uns selbst weh tun, und warum lassen wir diese so schwer los?

Ich bin mir sicher, dass alles, was wir als Menschen tun, einen Sinn für uns hat. Nicht unbedingt für andere, aber für uns persönlich. Welchen Sinn hat es also, über sich selbst zu denken, man sei ungeschickt oder nicht klug genug?

Zum einen ist es wichtig, zu erkennen, dass wir diese Ansicht gelernt haben. So, wie wir auch gelernt haben, mit Messer und Gabel zu essen. Wir wissen vielleicht nicht mehr genau, wie und wann wir es gelernt haben, aber wir haben es einmal gelernt.

So haben wir auch die meisten Dinge, die wir über uns und die Welt denken, einmal gelernt. Wir haben es einfach oft genug gehört oder wir haben gefühlt, was unsere Eltern fühlten, und wir haben erlebt, wie sie uns behandelt haben.

Vielleicht haben wir gesehen, wie sorgsam unser Vater sein Auto gewaschen und wie er über sein Auto gesprochen hat – und wie er nie auch nur ähnlich über uns gesprochen hat.

Vielleicht haben wir gesehen, wie gestresst unsere Mutter war und haben angenommen, dass wir der Grund waren.

Wir haben gelernt, dass man immer funktionieren muss, um ein Lob zu bekommen, und sind uns heute sicher, dass wir nichts wert sind, wenn wir nicht ständig etwas arbeiten.

Wir haben durch 1000 Kleinigkeiten gelernt, welchen Wert wir hatten. Als Kinder haben wir beobachtet, wie unsere Eltern miteinander, mit uns und mit anderen Menschen umgegangen sind, und so gelernt, was wir von der Welt und anderen Menschen zu halten haben.

So formt sich unsere Sicht auf die Welt und unsere Überzeugungen.

Es hat einen Sinn, schlecht über sich zu denken

Und gerade die schmerzhaftesten Überzeugungen – ich bin hässlich, nicht klug genug, nicht liebenswert – haben oftmals auch den Sinn, uns vor neuen Enttäuschungen zu schützen.

Sie schützen vor dem Schmerz der Zurückweisung, indem wir den Schmerz schon vorwegnehmen und uns gar nicht erst einlassen, gute Erfahrungen klein reden oder auf Komplimente ironisch oder gar zynisch reagieren.

Unsere negativen Überzeugungen über uns selbst fungieren als Schutzpanzer gegen neue schlechte Erfahrungen mit dem Preis, auch das Schöne nicht mehr zu fühlen oder es zu zerstören. Bevor es unseren Panzer aufweichen kann und wir wieder berührbar und verletzlich werden.

Menschen kämpfen dann um ihre Glaubenssätze und Überzeugungen, als ging es um ihr Leben.

Überzeugungen lassen sich nicht durch Gegenaussagen ändern

Viele Anleitungen zur Veränderung von Glaubenssätzen setzen darauf, stattdessen positive Gedanken zu formulieren. Jemandem, die sich im Spiegel kaum anschauen kann und sich für zu dick und unansehnlich hält, zu sagen, dass sie sich jeden Tag zehnmal sagen soll „Ich bin schön und liebenswert“, ist aus meiner Sicht allerdings wenig sinnvoll oder hilfreich.

Stoppe deine Klienten und lass sie fühlen

Vielleicht ist dir schon einmal bewusst geworden, dass wir, wenn wir hören, dass ein Klient (oder ein Mensch in deiner Umgebung) etwas Furchtbares über sich oder die Welt denkt, den Impuls haben, dagegen zu halten. Wir möchten der Person etwas Nettes sagen und sie korrigieren.

Versuche dem Impuls zu widerstehen.

Manchmal sind die Dinge, die wir hören, so absurd und schmerzlich, dass es kaum auszuhalten ist. Häufig werden sie nebenbei geäußert oder auf eine schnodderige Art und Weise.

Meiner Erfahrung nach ist hier der Punkt, wo wir therapeutisch ansetzen können. Ich stoppe dann meine Klient*innen und frage sie, ob sie gerade gehört haben, was sie gesagt haben? Dann lasse ich sie langsam wiederholen, was sie gesagt haben, und frage sie, was sie dabei fühlen und was dabei in ihnen vorgeht?
In den meisten Fällen ist die Antwort, dass sie nichts dabei fühlen. Sie schlagen sich also selbst, ohne den Schlag überhaupt noch (bewusst) zu fühlen.

Den Schmerz zum Ursprung zurückverfolgen

Der Schmerz über die sich ständig wiederholenden, selbstzugefügten Erniedrigungen ist oft vollkommen abgespalten. Und ich sehe es als unsere therapeutische Aufgabe, ihn wieder zurückzubringen und fühlbar zu machen.

Ich versuche mit der Zeit, diese inneren Überzeugungen wieder zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen und den Schmerz mit seinem Ursprung zu verbinden. Nur so können sich Überzeugungen und innere „Wahrheiten“ langsam lösen und verändern.
Zum einen, weil der Schmerz wieder gefühlt wird.
Zum anderen, weil langsam bewusst wird, dass die innere Stimme die Repräsentation eines Elternteils (oder einer anderen nahen Bezugsperson) ist und gar nicht zu einem selbst gehört.

Diese Stimme, die auf uns einschlägt oder uns vor der Welt und anderen Menschen warnt und ihre Überzeugungen ständig auf uns einprasseln lässt, ist oft noch vollkommen „Eltern-loyal“ und von vielen kaum hinterfragt worden.

Ein traumatisiertes Gehirn wehrt sich gegen gute Erfahrungen

Die neuen – guten – Erfahrungen, die jede/r Betroffene schon gemacht hat, konnten das Bewusstsein nicht erreichen, weil es schmerzt, gute Erfahrungen bewusst zuzulassen und weil Offenheit und Verletzlichkeit als unglaublich gefährlich gespeichert sind.

Gerade ein traumatisiertes Gehirn hat einen sehr aktiven limbischen Anteil und damit verbunden einen starken „Negativity-Bias“. Das bedeutet, nur negative Erfahrungen und Nachrichten, die die Erwartung bestätigen, werden in das Bewusstsein aufgenommen. Diesen Bias haben alle Menschen. Aus evolutionären Gründen war es sinnvoll, immer zu schauen, von wo Gefahr drohte.
Bei Menschen mit einer Traumatisierung ist dies jedoch so stark, dass das Gehirn alle anderen Erfahrungen gar nicht wahrnimmt.

Kognitive Verzerrungen beeinflussen unser Leben

Als Therapeut*innen sehe ich uns auch als „Erzieherinnen und Erzieher“ der kognitiven Welten unserer Klient*innen, von denen einige mit vielen kognitiven Verzerrungen zu uns kommen.

Helfen wir ihnen nicht, diese aufzuräumen und reflektieren zu lernen, und kümmern wir uns nur um die Gefühls- und Erfahrungswelt unserer Klient*innen, dann vernachlässigen wir meiner Meinung nach einen wichtigen Aspekt des Lebens. Klares Denken und das Hinterfragen von Meinungen und Annahmen oder „Wahrheiten“ sind wichtig für ein gutes Leben, aber auch für eine funktionierende (demokratische) Gesellschaft und ein soziales Miteinander.

Glaubenssätze, innere Überzeugungen und die Sicht auf die Welt sind wichtige Themen in einem therapeutischen Prozess. Haben wir es gemeinsam geschafft, dass unsere Klient*innen freundlich auf sich selbst schauen, die Welt in all ihren Farbtönen wahrnehmen können und auch ambivalente Gefühle und Positionen aushalten können, dann haben wir eine gute therapeutische Begleitung geleistet.

Wir können die Gedanken anderer nicht ändern

Zuletzt ist mir noch wichtig zu sagen, dass wir nicht alleine für den therapeutischen Prozess oder das Ergebnis einer Therapie verantwortlich sind. Einen großen Teil der Verantwortung trägt auch die/der jeweilige Klient*in. Gerade innere Überzeugungen können wir zwar in Frage stellen und darauf aufmerksam machen, verändern kann es nur die Klient*in selbst.

Diese stehen oft vor dem Problem, dass sie ihre Gedanken und Überzeugungen nicht als veränderbar sehen oder gar als etwas, dass sie sich selbst antun. Sie fühlen sich nicht als Verursachende der eigenen inneren Welt und sehen sich selbst eher als Erleidende und Opfer der eigenen Gedanken.

Diese Klient*innen suchen Erlösung von ihren Schmerzen, denken aber, dass dies von außen geschehen kann.
Wenn Menschen ihre Gedanken und Überzeugungen gar nicht anzweifeln, sondern diese für unbedingt wahr halten, ist es auch im therapeutischen Setting schwer, an einer Veränderung zu arbeiten.

Hier sind eventuell die Elternintrojekte so mit der Persönlichkeit verschmolzen, dass wir vielleicht zu diesem Zeitpunkt (manche Dinge ändern sich mit dem Alter) nicht in das System kommen und es nicht schaffen, Zweifel an ihren Überzeugungen zu säen oder einen anderen Blickwinkel zu ermöglichen.
Dies gilt natürlich nicht nur für Glaubenssätze, die die eigene Person betreffen, sondern auch für die inneren „Wahrheiten“ über die Welt und andere Menschen.

Eine echte Veränderung ist hier erst möglich, wenn Menschen sehen, dass sie selbst diejenigen sind, die ihre Gedanken denken und sich damit verletzen oder am Leben hindern.
(Ich nutze hier manchmal – wenn wir schon eine Weile therapeutisch gearbeitet haben – das Bild von der Selbstgeißelung und führe immer, wenn meine Klientin sich wieder selbst anklagt, beschimpft oder niedermacht, meine imaginäre Peitsche zur Selbstgeißelung über meinen Rücken. Diese Art von Humor ist natürlich der meine und muss auf ein humorvolles Gegenüber treffen 😊)

Wir können unsere Klient*innen nur spiegeln und auf ihre Muster aufmerksam machen. Indem wir manche Prozesse verlangsamen und dadurch helfen, dass sie bewusst und fühlbar werden können, können wir unseren Klient*innen mit der Zeit helfen, ihre eigenen Denkprozesse bewusster wahrzunehmen.
Damit sie diese letztlich verändern können und zu guten Gefährtinnen und Freunden ihrer Selbst werden.

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