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Neurofeedback als Chance

von | 23.06.2023 | 11 Kommentare

Manchmal sind Menschen seit Jahren in psychotherapeutischer Behandlung und erfahren dennoch keine echte Veränderung oder Minderung ihres Leidens.

Dies kann an verschiedenen Dingen liegen, wie zum Beispiel einer nicht passenden Therapieform, nicht ausreichend qualifizierten Therapeuten, einem Umfeld, das jede Veränderung attackiert.

Ein weiterer Grund kann sein, dass das Gehirn der Betroffenen nicht die Chance hatte, sich so zu entwickeln, dass die Betroffenen später therapiefähig sind. Dieser Aspekt wird häufig in der Therapie nicht mitgedacht und deshalb übersehen.

Oft sind Klienten nicht im Widerstand – sondern sie können nicht

Das hat dann nichts mit Unwillen oder Widerstand zu tun, sondern damit, dass der Mensch (konkret: sein Gehirn) in seiner Entwicklung bestimmte Dinge nicht erfahren hat und nicht ausbilden konnte. Durch diesen Umstand kann eine Therapie bei ihr oder ihm nicht „landen“.

Dies ist z.B. der Fall, wenn das Angstsystem beständig feuert und dadurch jede neue und eigentlich gute Erfahrung überschreibt – oder gar nicht wahrnehmen kann. Die Amygdala ist so aktiv, dass das Gehirn keine Chance hat, durch neue Erfahrungen neue Bahnungen anzulegen.

Leider funktionieren in einigen Fällen auch die in der Polyvagal-Theorie beschriebenen Prozesse nicht, da jede Form von Kontakt als bedrohlich – und eben nicht als co-regulierend und beruhigend – erlebt wird.
Damit wir uns verändern und neue Erfahrungen zulassen und verarbeiten können, müssen wir jedoch in einem ruhigen und angstfreien Zustand sein. Für viele Betroffene ist dies nie möglich und schon gar nicht, wenn sie mit einer anderen Person in einem Raum sind.
Auch dies wird oft von Therapeutinnen und Therapeuten nicht erkannt – weil es der Normalzustand einer Person ist und Therapeuten diesen Menschen nur in diesem Zustand – der oft dazu noch hochfunktional ist – kennenlernen.

Auch unser Gehirn muss sich entwickeln

Unser Gehirn entwickelt sich durch die Zuwendung, den Körperkontakt und die liebevolle Spiegelung, die wir erfahren. Wir alle durchlaufen nicht nur eine persönliche Entwicklung, sondern auch eine Reifung des Gehirns. Es müssen Pfade und Verbindungen angelegt werden, die dazu führen, dass wir neue Dinge verarbeiten und daraus lernen können. Das Gehirn lernt im Laufe von mehreren Jahren auch, sich immer mehr selbst zu beruhigen. Auch dafür müssen wirksame neuronale Wege gebahnt werden.

Das Schlimmste, das uns widerfahren kann, ist eine Art „Mutterlosigkeit“. Dies geschieht, wenn sich das Verhalten der Mutter bzw. primären Bezugsperson in einem bestimmten Spektrum bewegt. Das Verhaltensspektrum beinhaltet nicht einfühlsam sein zu können, depressiv, narzisstisch, ablehnend, selbst traumatisiert, ängstlich oder sehr dysreguliert zu sein, das Kind eklig zu finden und es nicht anfassen mögen, bis hin zu missbräuchlichem und gewalttätigem Verhalten.

Nachnähren als Möglichkeit

Fühlen wir den Kontakt zu einer liebenden und eingestimmten Mutter nicht, dann fallen wir in ein (grauenvolles) Nichts und können kein Ich-Gefühl entwickeln. Und gleichzeitig auch kein Gefühl, dass es da ein DU gibt.
Wir wissen einfach nicht, was mit diesen Begriffen gemeint ist. Was mit „Kontakt“ und „Verbindung“ wirklich gemeint ist, wissen wir dann auch nicht. Wir denken uns etwas, aber wir haben keine Referenzerfahrung, um wirklich in unserem Körper zu fühlen, was es bedeutet.

Betroffene können sich selbst nicht spüren und haben dadurch keine Empfindung für ein kohärentes Ich. Sie können aber auch nicht spüren, dass jemand wirklich bei ihnen ist und sie nicht mehr alleine sind.

In diesen Fällen ist Psychotherapie kaum wirksam, da erst echter Körperkontakt diese fehlenden Erfahrungen heilen könnte. Leider ist es selbst in einer körperorientierten Psychotherapie kaum möglich, so viel „Nachnährung“ zu bieten, dass das Gehirn diese Dinge nachlernen kann.

Diese Lücke kann Neurofeedback schließen. Es hilft dem Gehirn, neue Kreisläufe anzulegen, sich selbst zu erfahren und zu lernen sich zu regulieren.

Wie funktioniert Neurofeedback?

Das menschliche Gehirn ist ein komplexes und faszinierendes Organ, das uns ermöglicht zu denken, zu fühlen und zu handeln. Wenn es jedoch aufgrund von Dysregulation oder fehlenden neuronalen Bahnungen nicht richtig funktioniert, kann das erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität haben. In den letzten Jahren hat sich Neurofeedback als vielversprechende Therapieoption für verschiedene neurologische und psychologische Erkrankungen etabliert.

Neurofeedback basiert auf der Idee, dass das Gehirn in der Lage ist, seine eigenen Aktivitätsmuster zu regulieren. Dabei wird eine Elektrode auf der Kopfhaut angebracht, die die Gehirnaktivität misst. Diese wird dann in Echtzeit auf einem Computerbildschirm dargestellt.
Die Klienten sehen also ihre eigene Gehirnaktivität und können lernen, sie zu beeinflussen. Durch Training kann das Gehirn lernen, bestimmte Muster der Gehirnaktivität zu verstärken oder zu verringern, was zu einer Verbesserung der Gehirnfunktionen führen kann. Dieses Lernen ist nicht anstrengend, sondern erfolgt passiv.

Anwendung von Neurofeedback in der Therapie

Neurofeedback wird in der Therapie bei einer Vielzahl von Erkrankungen eingesetzt, darunter PTBS, Entwicklungstrauma, ADHS, Angststörungen, Depressionen, Migräne und Schlafstörungen. Durch das Training des Gehirns kann die Symptomatik dieser Symptombilder reduziert werden, indem die Gehirnfunktionen verbessert werden. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass Neurofeedback am besten wirkt, wenn es in Kombination mit Psychotherapie eingesetzt wird.

Insbesondere die Infra Slow Frequencies (ISF) scheinen die „warme Umarmung einer Mutter“ für unser Gehirn nachzubilden. So unglaublich das klingt.
So ist es für Betroffene möglich, eine „gefahrlose“ Form der „Bemutterung“ zu erleben, in der eine Integration der traumatischen Erfahrungen und eine Neubildung neuronaler Bahnungen und Regulationsfähigkeit stattfinden kann.

Und auch mit anderen Neurofeedbackverfahren kann man gute Ergebnisse bei sehr unterschiedlichen Symptomatiken, von Angst bis Depression oder ADHS erreichen.

Im Video spreche ich darüber mit Irmgard Möllenkamp, Heilpraktikerin aus Lübeck, die bereits seit Jahren mit Neurofeedback arbeitet.

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11 Kommentare

  1. Hallo Dami. Wie heißt diese Art vom Neurofeedback, wo man seine Gehirnströme am Bildschirm sieht? Ich kenne eine Art gegen Konzentrations Störungen.Ich interessiere mich dafür, weil ich eine Betroffene bin.
    Danke u. LG. Anni.

  2. Danke für den Blogbeitrag. Sehr interessant, dass es auch Methoden gibt für Menschen, die vor allem im Kontakt Probleme haben, was logischerweise genau das, was Psychotherapie ausmacht erschwert. Ich möchte gerne, weil ich nicht weiß, an welcher Stelle ich das am Besten anbringen kann, mal diskutieren, weshalb die Polyvagal-Theorie immer herangezogen bzw. nicht diskutiert wird, da sie doch, so wie ich das verstehe, wissenschaftlich nicht untermauert werden kann, zumindest nicht in ihrer Herleitung. Kannst du dazu etwas sagen?

  3. Hallo Dami,
    ich bin inspiriert, neugierig und begeistert.
    Wo kann ich mehr über die Neurofeedback-Methode lernen, die Irmgard empfiehlt? Welcher Spur folgst du in dieser Richtung für dich und deine Arbeit?
    Hast du Tipps?

    Herzliche Grüße und danke für deinen Pioniergeist und Engagement für wirkliche Heilung.

    • Ich versuche einfach darüber zu lesen und zu lernen, wenn ich Zeit habe. Ich bin da selbst noch am Anfang.

  4. Hallo Dami,
    ich bin auch ein solcher Fall, bei dem seit Jahrzehnten nichts wirkt, es gibt immer wie eine Blockierung und dann geht es mir noch schlechter. Ich versuche nun jemanden zu finden, der ISF anbietet. Eine Frage an dich: ist ISF das gleiche wie ILF (Infra low frequencies)?
    Viele Grüsse Ursula

    • Nein, ist es tatsächlich nicht.

  5. Danke für diesen wichtigen Beitrag!

  6. Ihr Beitrag über Neurofeedback ist sehr aufschlussreich und informativ. Die Fähigkeit des Gehirns, seine eigenen Aktivitätsmuster zu regulieren, ist faszinierend und die Anwendung dieser Erkenntnisse zur Verbesserung der Lebensqualität ist äußerst wertvoll. Es ist beeindruckend zu sehen, wie Technologie und Wissenschaft zusammenarbeiten, um innovative Therapieoptionen zu entwickeln.

  7. Hallo Dami, lieben Dank für deine tolle und hilfreiche Veröffentlichungen – Blog, Videos u.a. und deine unermüdliche Arbeit ‚an der Front‘.

    -> Wie kann man feststellen, ob man diese ungünstigen Gehirnverschaltungen bzw die guten nicht hat, ohne erst Jahre mit Therapie experimentieren zu müssen, um dann erst festzustellen, daß sich kaum etwas geändert hat? Gibt es dafür Methoden oder Verfahren oder auch Experten?
    Liebe Grüße Sila

    • Hallo, das kann ich dir nicht beantworten. Man geht seinen Weg und lernt und übt und stellt fest, was für einen funktioniert und was nicht. Ich fürchte, da gibt es keine Abkürzung. Es gibt dafür keine Gehirnscans oder so.. Leider.

  8. Liebe Dami, ich bin so dankbar, dass endlich Jemand darüber schreibt. Dass es Menschen gibt, wo Gesprächstherapie einfach nicht funktioniert. Weil das Gehirn nicht dazu in der Lage und im Zweierkontakt zu gestresst ist. Eine heutige Neurofeedback-Stunde hat direkt tolle Erfolge gezeigt und ist ein Hoffnungsschimmer für Alle, die schwer traumatisiert und gesprächstherapie-unfähig sind. Auch mit starken Dissoziationen..

    Danke für Deine wertvollen Beiträge und Videos !