In der Psychotherapie und Arbeit mit Trauma begegnen wir Menschen mit tief sitzendem Leiden. Doch was können wir als Therapeuten tun, damit der an die Oberfläche kommende Schmerz weder uns noch unsere Klienten überflutet? In diesem Beitrag gebe ich dir Einblicke für den Umgang mit Schmerz.
Wie seelischer Schmerz entsteht
Verletzungen verursachen Schmerz. Bei Traumata ist es zunächst ein heller Schmerz, wie ein physischer Schnitt. Früher als Kinder konnten wir uns diesem tiefen Schmerz jedoch nicht zuwenden. Er sank in unsere Psyche und wurde dort abgekapselt. Er manifestierte sich in Muskelspannungen, die man später im Leben als Haltungsmuster erkennen kann. Er erzeugte Überlebensmuster, mit denen man auf die Welt reagiert und aus denen heraus man die Welt und Beziehungen interpretiert.
Oftmals ist der Schmerz für ein Kind viel zu groß, als dass es damit leben könnte. Der Schmerz wird abgespalten und beginnt mit der Zeit, ein Eigenleben zu führen. Er bestimmt unser Leben in Form von Mustern, ohne dass uns dies zunächst bewusst ist.
Aus chronifiziertem Schmerz wird Leiden
Irgendwann, wenn wir erwachsen sind, beginnt dann das Leiden. Denn Schmerz, um den wir uns nicht kümmern, wird früher oder später zu Leiden. Der Schmerz chronifiziert und wird unter der Bewusstseinsoberfläche größer. Irgendwann erscheinen dann die ersten Symptome.
Die meisten Menschen ignorieren diese ersten Symptome und versuchen, ihr Leben einfach weiterzuleben. Bei manchen Menschen klappt dies, ihr Leben geht weiter und funktioniert. Hier und da vermissen sie vielleicht etwas, aber „es geht schon“.
Klienten suchen Erlösung
Bei anderen wird das Leiden so groß und die Symptome werden so stark, dass sie sich Hilfe suchen. Sie kommen dann zu uns und wünschen sich, dass wir sie von ihrem Leiden befreien. Die meisten Menschen suchen keine Lösungen. Wenn sie ehrlich sind, suchen sie Erlösung – die Befreiung vom chronischen Leiden.
In der Psychotherapie kommt das Leiden dann häufig immer mehr zum Vorschein.
Und nun ist die Frage zum Umgang mit Schmerz: Halten wir es aus, empathisch mit unseren Klientinnen und Klienten zu sein, ohne sie gleich vom Schmerz erlösen zu wollen?
Leidet ein Mensch vor unseren Augen, so springt unsere Empathie an und wir fühlen das Leiden und den Schmerz mit. Je mehr wir selbst noch unintegrierte Themen haben, desto mehr fühlen wir den Schmerz.
Ein Denkfehler im Umgang mit Traumata
Immer wieder erlebe ich in Trauma-Fortbildungen, dass Therapeuten ihre Klienten in einer solchen Situation sehr schnell aus dem Schmerz in eine Ressource führen möchten oder trösten wollen. Letztlich verlängert eine solche Intervention aber den Schmerz. Wir müssen lernen, die Spannung auszuhalten, die durch das Bezeugen von Schmerz entsteht.
Inzwischen gibt es meiner Erfahrung nach einen Denkfehler in der Behandlung von Traumata. In der Bearbeitung von Traumata gilt es (in den meisten Verfahren), das Trauma nicht wieder erleben zu lassen, weil wir inzwischen wissen, dass Emotionen im Zusammenhang mit Traumata schnell überwältigend sind. Dies führt mittlerweile allerdings dazu, dass wir Klientinnen und Klienten kaum noch den Raum geben, ihren Schmerz zu fühlen.
Es ist wichtig, bei unserer Arbeit zwischen Schocktraumata und Entwicklungstrauma zu unterscheiden.
Bei Schocktrauma ist es richtig, Menschen das Erlebte nicht noch einmal wieder erleben zu lassen. Es ist nicht sinnvoll für unsere Klienten, das Grauen noch einmal zu erzählen und es damit wieder in sich lebendig werden zu lassen. Haben wir als Therapeuten die Begleitung von Schocktraumata nicht explizit gelernt, so führt dies meist in Überwältigung und Retraumatisierung und ist keinesfalls heilsam. Es braucht sehr spezielle Interventionen, um gut und heilsam mit Schocktraumen umgehen zu können.
Für Entwicklungstrauma gilt dies nicht. Hier ist es oft wichtig, dass Menschen ihren Schmerz noch einmal fühlen dürfen und sie weinen und trauern können.
Dafür ist es oftmals im Umgang mit Schmerz notwendig, dem Impuls zu widerstehen, zu trösten oder Ressourcen einzubringen oder vom Schmerz abzulenken. Trösten führt meist dazu, dass Menschen aufhören zu weinen, weil sie das Gefühl haben, dass sie zu viel sind.
Schützt deine Intervention dich selbst?
Dies erfordert eine gute Selbstregulation und ein klares Bewusstsein von Grenzen. Der Schmerz, den ich als Therapeutin fühle, ist nicht mein Schmerz. Ich nehme ihn nur durch Resonanz und somatische Übertragung wahr.
Die Resonanz kann allerdings auch die eigenen alten Themen und Schmerzen ans Licht bringen, wenn diese noch nicht bearbeitet, betrauert und integriert sind. Wir müssen dann aufpassen, dass wir mit unseren Interventionen im Umgang mit dem Schmerz nicht im Grunde uns selbst schützen und regulieren wollen, weil wir unsere eigenen Gefühle nicht aushalten. Wir wollen also uns selbst retten und können deshalb u.U. nicht gut unterscheiden, was jetzt das Beste für unsere Klientin wäre.
Der Schmerz, der durch frühe Verletzungen entstanden ist und so lange abgespalten war, braucht Zeit und Raum, um „nach Hause“ kommen zu können. Er braucht Raum, bezeugt zu werden, sodass die abgespaltenen Erlebnisse wieder bewusstseinszugänglich werden und letztlich Trauer und Mitgefühl entstehen können.
Klienten mit ihrem Schmerz aushalten können
Unsere Aufgabe im Umgang mit Schmerz ist es, dabei zu sein, den Raum zu halten und unseren Klienten zu versichern, dass wir da sind. Dass sie diesmal nicht alleine sind und dass wir sie mit ihrem Schmerz aushalten. Es ist wichtig, dass sie eine neue Erfahrung machen, sich gehalten und beschützt fühlen. Sonst sind die Erinnerung und der Schmerz nur eine Wiederholung der alten Erfahrung und nicht heilsam.
Klienten versichern sich immer und schätzen während der Therapie ab, wie belastbar wir sind. Sie wählen aus, was sie uns zumuten und schonen uns unter Umständen, so wie sie schon früher ihre Bezugspersonen geschont und vor ihrem Leid beschützt haben.
Diese Wiederholung sollte in der therapeutischen Beziehung nicht passieren.
Vom Leiden zu Bewusstsein und Mitgefühl
Es ist wichtig und oft notwendig, die aufkommenden Emotionen so zu co-regulieren, dass keine Überflutung stattfindet. Dies kann durch verschiedene Interventionen geschehen, die jedoch den Prozess der Klienten nicht unterbrechen, sondern nur Halt und Unterstützung vermitteln.
So kann aus Leiden wieder fühlbarer Schmerz werden, der mit der Zeit wieder der Vergangenheit zugeordnet werden kann und langsam heilen darf. Aus Dissoziation wird Bewusstsein und Mitgefühl.
Der Schmerz bekommt ein Zuhause und kann Frieden finden.
Möchtest du mehr über den Umgang mit Schmerz, Containment und Co-Regulation bei Trauma-Patienten lernen, empfehle ich dir meine Online-Fortbildung. Auch könnte dich mein Blogartikel zur therapeutischen Gesprächsführung interessieren.