Es ist Herbst geworden und die Blätter sind bunt, die Tage werden kürzer und kühler. Die Natur fängt an sich zurückzuziehen und herunterzufahren. Es wird stiller draußen und gleichzeitig ist überall Fülle und Erntezeit.
Heutzutage haben wir uns weitgehend aus dem Rhythmus der Natur und der Jahreszeiten ausgeklinkt. Wir sind konstant am Arbeiten, am Machen und am Tun. Und wir erholen uns, indem wir noch mehr tun oder unser Gehirn unter einen konstanten Strom von Bildern und Informationen setzen – und dann glauben, dass wir uns dabei erholen.
Wir leben in einer Zeit der sympathikotonen Non-Stopp Erregung und Belastung.
Wir leben in einem konstanten Dopaminrausch.
Stress aktiviert den Kampf- und Fluchtreflex
Wie du wahrscheinlich weißt, besteht unser Nervensystem aus zwei Hauptzweigen, dem sympathischen und dem parasympathischen Zweig. Beide haben sehr unterschiedliche Aufgaben. Der sympathische Teil sorgt dafür, dass wir wach und bereit sind zu handeln. Er ist aktiviert, wenn wir etwas tun, neugierig sind, Sport machen, arbeiten und natürlich auch, wenn wir Stress haben oder auch nur Stress empfinden. Dieser Teil des autonomen Nervensystems ist auch für den Kampf- und Flucht-Reflex zuständig, der immer aktiviert wird, wenn wir Stress haben. Selbst wenn dieser Stress nur in unserem Kopf stattfindet.
Wie Marc Twain schon sagte:
„Ich bin ein alter Mann und habe viel Schreckliches erlebt, doch zum Glück ist das meiste davon nie eingetroffen.“
Erschöpft durch Dauer-Erregung
Durch traumatische Erfahrungen ist das Nervensystem oftmals in einem kontinuierlichen, übererregten Zustand gefangen. Es bleibt 24 Stunden am Tag wachsam, weil wir tief in uns noch nicht verstanden haben, dass die traumatischen Ereignisse vorbei sind (zumindest für die meisten von uns).
Diese innere Wachsamkeit nennt man Neurozeption und ist völlig normal. Führt sie jedoch in ein beständiges Feuern des Sympathikus, ist man dauerhaft in einer Habacht-Stellung gefangen.
Wenn Unruhe uns nicht zur Ruhe kommen lässt
So erleben unsere Klient*innen und auch wir selbst oftmals einen inneren Widerstand dagegen, wirklich zur Ruhe zu kommen. Viele Menschen machen den Fernseher oder Computer an, sobald sie zuhause sind, weil sie Stille nicht mehr aushalten können.
Sobald man sich hinsetzt oder zur Ruhe kommt, fängt nämlich die Unruhe an. Man fühlt sich hibbelig oder fängt an, darüber nachzudenken, was gerade noch alles gemacht werden müsste. Oder man bemerkt, wie schlecht man sich eigentlich fühlt, und entschließt sich, lieber etwas anderes zu tun, um sich von den Gefühlen abzulenken.
Was Dopamin mit Erschöpfung zu tun hat
Der zweite Faktor, unsere inzwischen gesellschaftliche Dopaminsucht, unterstützt die Ruhelosigkeit und hält uns – wenn wir nicht sehr aufpassen – in einer Dauerschleife von Anregungen und damit von Erregung gefangen.
Dopamin ist ein wichtiger Neurotransmitter. Es wird ausgeschüttet, wenn wir etwas wollen, wenn etwas neu ist oder unsere Neugier erregt. Dopamin gilt als das Glücks- und Motivationshormon in unserem Körper.
Vor allem Social Media Plattformen haben es geschafft, diesen Botenstoff quasi zu „kapern“ und für ihre Zwecke einzusetzen. Jedes Ping deines Smartphones, jede neue Ankündigung von E-Mails oder Beiträgen setzt unser Gehirn unter Dopamin und sorgt dafür, dass wir möglichst viel Zeit auf den Plattformen verbringen.
Leider gibt es auch eine Schattenseite, die Dopaminermüdung.
Der Körper hat dafür gesorgt, dass ein Zuviel an Dopaminausschüttung negative Konsequenzen hat. Man fühlt sich motivationslos, bekommt u.U. sogar Schmerzen und fühlt sich einfach schlecht. Wenn du mehr darüber lesen möchtest: „Die Dopamin-Nation“ von Dr. Anna Lembke.
Erschöpfung baut sich langsam auf
All diese Faktoren (und bestimmt gibt es noch mehr) führen dazu, dass wir langsam, aber sicher in die Erschöpfung gleiten. Das beständige Feuern von Stresshormonen erschöpft den Körper auf vielen Ebenen und damit auch die Psyche. Die Erschöpfung ist Ausdruck der inneren Imbalance oder Dysregulation, die mit der Zeit ihren Tribut von uns fordert.
Leider fühlen unsere Klient*innen (und auch wir selbst) dies oft erst, wenn sie schon mitten in der Erschöpfung sind und Symptome entwickeln.
Dies liegt daran, dass gerade Traumabetroffene ihren Körper oft nicht wirklich fühlen und damit auch oftmals nicht die feineren Hinweise des Körpers, dass er Ruhe braucht, wahrnehmen. Burnout ist ein Zustand, in dem Menschen ihren Körper lange überhört oder nicht gespürt haben und dann mit den massiven Konsequenzen eines Lebens im sympathikotonen Bereich konfrontiert werden.
Was der Körper wirklich braucht
Unser Körper ist nicht dazu gemacht, ständig „ON“ zu sein. Wir brauchen Zeiten des Rückzugs, der Stille und Ruhe. Zeit, in der wir uns nach innen wenden und bei uns landen. In diesen Zeiten wird der Parasympathikus aktiv. Viele unserer körperlichen Reparatursysteme können nur dann arbeiten.
Aus diesem Grund haben unsere Klient*innen Magen-Darm-Probleme oder Schmerzsymptomatiken und andere Symptome, die auftreten, wenn der Parasympathikus kaum aktiv sein kann.
„Wie gestaltest du die Partnerschaft mit dir?“
Es ist letztlich wie in einer Partnerschaft, in der man 1000 Dinge miteinander unternimmt, aber niemals wirklich beieinander ankommt oder miteinander redet und wirklich füreinander präsent ist. Diese Partnerschaft haben wir auch mit uns selbst und unsere Klienten mit sich.
Du könntest deine Klient*innen einmal fragen, wie sie diese Partnerschaft gestalten? Das kann die Grundlage einer sehr interessanten Stunde werden.
Viele Menschen erleben sich immer nur als Erfahrende, Erleidende und als reaktiv. Sie sind sich dessen nicht bewusst, dass sie den Umgang mit sich selbst gestalten. Diesen Blickwinkel zu verändern, kann sehr fruchtbar sein.
Und natürlich gilt die Frage auch für dich: Wie gestaltest du die Partnerschaft mit dir?
Selbstregulation – eine grundlegende Fähigkeit
Die Arbeit an dem Thema kann sehr umfassend sein. Ein Grundbaustein ist die Fähigkeit, sich selbst regulieren zu können. Diese Fähigkeit können Klient*innen leider nicht über Gespräche lernen. Sie brauchen dafür eine aktive Co-Regulation von uns als Therapeut*innen (Wenn dich das mehr interessiert, ist meine Onlinefortbildung vielleicht etwas für dich: „Frühe Verletzungen und Entwicklungstrauma erkennen und heilen“).
Eine weitere Basis für mehr Selbstregulation ist die Fähigkeit, den eigenen Körper zu spüren. Dies können die meisten unserer Klient*innen leider nicht. Sie sind in sich selbst nicht zuhause und haben oft auch Angst „nach Hause“ zu kommen.
Ist unsere Beziehung zu den Menschen, mit denen wir arbeiten, echt und tragfähig, so werden diese sich mit der Zeit trauen, mehr bei sich anzukommen. Außerdem können wir sie durch somatische Spiegelung dabei unterstützen, sich fühlen zu lernen. Diese Fähigkeit ist besonders in der Arbeit mit Entwicklungstraumata sehr hilfreich.
Der Unterschied zwischen Entspannen und Kollabieren
Die Fähigkeit, sich zu entspannen, ist eine aussterbende Kunst. Die meisten Menschen verwechseln inzwischen Entspannung mit Kollabieren.
Der Unterschied zwischen beiden ist immens. Entspannung ist parasympathisch und erholsam. Es gibt im Körper eine entspannte Spannung und Wachheit. Man könnte es beschreiben als eine Latenz zu Motivation und Neugier, ohne in Aktivität zu gleiten. Eine stille Präsenz, die in sich ruht, beschreibt es vielleicht.
Die Entspannungspraktik vieler Menschen ist inzwischen, Netflix zu schauen, durch Instagram zu scrollen oder auf der Couch zu liegen und sich wie „Gemüse“ zu fühlen. Netflix und Co halten unseren Körper in einem sympathikotonen Zustand, während das Kollabieren als „Gemüse“ (für manche ist damit das sofortige Wegtreten in den Schlaf verbunden) ein zu starker parasympathischer Schwenk ist, der in die Unterregulation/den Hypotonus führt und mit eher unangenehmen Gefühlen von Motivationslosigkeit, Erschöpfung und innerer Abgeschnittenheit einhergeht.
Dieses habituierte Abschalten ist oft nicht so leicht zu durchbrechen und braucht ebenfalls die Fähigkeit der Selbstregulation und Körperwahrnehmung. Manchmal ist es gut Klient*innen dies zu Hause üben zu lassen, zunächst einfach mal nur 5 Minuten still zu sitzen und zu versuchen, sich zu spüren und zu beobachten, was dann im Körper und emotional passiert.
Die Begegnung mit sich selbst lohnt sich
Sich nach innen zu wenden, sich selbst zu spüren mit allem, was da ist, braucht oft Mut und manchmal auch die Kraft, sich von allem loszureißen, was man noch so tun könnte. Aber je mehr wir das alle tun, desto mehr werden wir uns wieder spüren und kommen uns näher. Nur so können wir den Traumasog überwinden und auch als Gesellschaft wieder mehr zueinander finden. Denn von sich abgeschnittene und überreizte Menschen haben kaum Kapazitäten, in einen tieferen Kontakt zu treten oder auch nur freundlich zu ihren Mitmenschen zu sein.
Deswegen lohnt sich die Begegnung in der Stille mit sich selbst, auch wenn es manchmal schmerzlich ist.
Liebe Dami, vielen Dank für diesen Blog. Er ist so hilfreich. Es ist so wichtig sich zu fühlen und seinen eigenen sicheren Raum um sich herum zu haben.
Herzliche Grüße Carolin
Liebe Dami,
ich will gar nicht so viel sagen und inhaltlich auch auf nichts eingehen. Aber eines ist mir doch wichtig:
Ich sage DANKE von Herzen!
… für Deine Arbeit mit Dir selbst
… für Deine Offenheit
… für Dein Teilen mit uns
… dafür, dass Du uns an die Hand nimmst, unspektakulär, aber doch so achtsam
… dafür, dass so viele von uns nicht das Geld haben für eine therapeutische Begleitung und wir alle trotzdem von Dir lernen können von Deinen Beiträgen im Internet
Am liebsten würde ich Dir in die Augen schauen, Deine Hände in meine nehmen, sie halten, Dich halten für eine Weile und meine Herzenswärme Dir schicken.
Ja, so geht’s mir! Das wollte ich Dir schon lange mal sagen.
Hab’s gut!
Margarita
Liebe Dami,
ich möchte hier auch einmal danke sagen für Deine Artikel/Kurse/Anregungen/Hilfestellungen und Deine Herzlichkeit und dafür, dass Du all Dein Wissen so groherzig teilst.
Toller Artikel über die Erschöpfung.
Danke.