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Transkript
Traumaformen und ihre Bedeutung für die Therapie
Hallo, herzlich willkommen zum zweiten Teil in der Reihe für professionell interessierte Therapeuten, Pädagogen und andere. Wir haben beim letzten Mal besprochen, was passiert, wenn jemand in die Praxis kommt, wie man erst einmal eine Basis schaffen und eine Beziehung aufbauen kann, weil die therapeutische Beziehung wirklich das Wichtigste in diesem ganzen Prozess ist.
Heute möchte ich gerne unterscheiden, was für Traumaformen es gibt, was das für unsere Arbeit bedeutet und wie wir damit umgehen – ein allgemeiner Überblick also. Ich habe bereits geschrieben, dass ich, nachdem ich meine erste Traumaausbildung hatte, total enthusiastisch war und dachte, ich heile jetzt alle Menschen in zehn Stunden – das war toll, diese Idee, aber es hat einfach hoffnungslos überhaupt nicht geklappt. Ich habe gemerkt, irgendetwas stimmt da nicht, gedacht, ich kann das einfach nicht, und bin damit an meinem Anspruch und den Vorstellungen, die ich hatte, gescheitert. Irgendwann später habe ich dann meine Missing Links dazu gefunden, und einer davon war das Thema Entwicklungstrauma.
Meine Erfahrung ist, dass unser Traumabegriff viel zu eng ist, nicht bei allen, aber bei vielen Menschen und gesellschaftlich auf jeden Fall, weil wir eigentlich immer Schocktrauma damit meinen, also ein singuläres, überwältigendes Ereignis für eine Person. Auch das ist unter Umständen traumatisch und selbst dieser Traumabegriff viel weiter als gemeinhin angenommen: Stürze können dazugehören, Scheidungen, Trennungen, Autounfälle, Operationen unbedingt.
Einmal hat mich ein Kollege angerufen, um Rat gefragt und gesagt, dass er bei einer Klientin gerne abklären würde, ob sie ein Entwicklungstrauma hat, da sie sicher kein Schocktrauma habe. Wir haben also ein bisschen geredet und er hat erzählt, dass die Klientin mit fünf, denke ich, eine Herz-OP hatte, dass ihre Mutter nicht dabei war und wie schrecklich das für sie war. Da habe ich mir gedacht, ja, das ist die Annahme, die wir oft haben, dass Operationen, weil sie unter Umständen lebensrettend sind, natürlich gut sind, aber dennoch stellt gerade eine Herzoperation ein riesiges Schocktrauma dar. Das ist nicht ein bisschen, sondern sehr viel Schocktrauma, denn bei einer Herzoperation wird mir die Brust aufgefräst, die Rippen werden gespreizt, real betrachtet bin ich tot, mein Herz steht und dann werde ich wieder zum Leben erweckt – und das alles unter Narkose ohne Bewusstsein. Wenn das keine Auswirkungen hat, dann wüsste ich nicht, was eine Auswirkung auf mich haben soll. Niemand übersteht eine Herz-OP ohne gravierende psychische Veränderungen, es wird bloß nicht so viel darüber geredet und geschrieben, weil diese Eingriffe eben notwendig und lebenserhaltend sind. Nichtsdestotrotz werden viele Eltern überhaupt nicht darüber aufgeklärt, wie sie danach mit ihren Kindern umgehen müssen, weil der Aspekt einfach nicht vorkommt.
Für uns ist wichtig, dass eben auch Operationen, sehr häufig auch die Intubation, durchaus traumatisch sein können, genau wie viele andere Dinge. Wir müssen uns immer vorstellen, dass auch bei Schocktrauma Menschen viele Dinge wegstecken und gar nicht merken, was in ihrem Körper, in ihrem System, in ihrer Psyche passiert, und dann haben sie einen Fahrradunfall und entwickeln plötzlich massive Traumasymptome, die sie sich nicht erklären können, weil sie nur einen simplen Fahrradsturz hatten. Es ist aber einfach so, dass wir uns immer vorstellen müssen, dass es wirklich den Tropfen gibt, der das System zum Überfließen bringt. Wir können das lange und immer wieder kompensieren, bis wir plötzlich auseinanderfallen und all das nicht mehr halten können. Deswegen merken wir oft, wenn uns Klienten etwas erzählen, dass sie sich zwar mit den Symptomen beschäftigen, diese aber nicht mit der Ursache zusammenbringen, weil diese zu unbedeutend erscheint, zu weit weg ist oder Ähnliches.
Das ist Schocktrauma und meiner Erfahrung nach steht hinter jedem Schocktrauma noch ein Entwicklungstrauma. Das macht das Schocktrauma nur schwer behandelbar, solange das Entwicklungstrauma nicht aufgearbeitet ist. Unter Entwicklungstrauma versteht man einen hochfrequent stressigen Lebensabschnitt, wie zum Beispiel die Kindheit, oder eine Beziehung, in der Menschen viel gedemütigt oder geschlagen werden, was dieselben Auswirkungen haben kann wie ein frühkindliches Entwicklungstrauma. Oft verquickt sich das natürlich.
Wir haben damit zwei Dinge, die im Raum stehen, Schock- und Entwicklungstrauma. Entwicklungstrauma sind alle frühen Verletzungen, mit denen wir leben müssen, was bei der Geburt oder sogar pränatal anfängt, wenn ich nicht gewollt war, es Abtreibungsversuche gab, die Mutter in der Schwangerschaft krank war oder unter Schock gestanden hat, dann natürlich Zangengeburt oder das Erlebnis, zu ersticken, festzuhängen, oder wenn die Mutter unter Vollnarkose war und das Kind eigentlich komplett narkotisiert auf die Welt kommt, all diese Dinge haben eine Auswirkung auf uns als Kinder. So kommt vieles zusammen, zu dem wir als Erwachsene erstens aufgrund der kindlichen Amnesie keinen Zugriff haben und von dem wir zweitens keine Vorstellung haben, wie schrecklich es als Säugling ist, beispielsweise alleine in einem Zimmer zu liegen, was oftmals mit Todesangst verbunden ist, oder alleine zu schlafen, weil Babys sich selbst ohne Körperkontakt nicht regulieren können, oder überhaupt zu wenig Körperkontakt zu bekommen, oder wie es ist, immer nur gestresst angesehen zu werden, was für ein Kind ein überwältigendes Erlebnis ist, oder wenn die Mutter depressiv ist und die Mimik falsch oder nicht passend ist (interessant ist zu diesem Thema das Still Face-Experiment, das zwei Minuten dauert und bei dem das Kind vor Stress völlig ausflippt und sich überhaupt nicht mehr einkriegt, nur weil die Mutter mimisch plötzlich nicht mehr antwortet). All diese Sachen haben eine enorme Auswirkung auf unser späteres Leben.
Die dritte Kategorie sind Bindungsstörungen, wobei ich den Begriff Bindungsverletzungen wesentlich besser finde; eigentlich war nicht unsere Bindung gestört, sondern die unserer Eltern. Wir haben uns bestmöglich darauf eingestellt, wie wir sein müssen, um Bindung zu erhalten. Wir waren also nicht gestört, wir sind es nur geworden, weil das Muster, das wir uns angewöhnt haben, später nicht funktional war. Das ist das Drama, dass wir eigentlich superfunktional in einer dysfunktionalen Familie waren, und heute nicht mehr funktional sind, weil unsere Umgebung anders auf unsere Muster reagiert.
Das sind die drei großen Dinge, die es zu behandeln gilt. In 99% der Fälle ist eines dieser Dinge die Grundlage dessen, warum unsere Klienten bei uns sitzen. Das heißt, je mehr wir ihnen da helfen, neue Erfahrungen zu machen, alte Verletzungen zu integrieren, desto mehr Erfolg werden sie haben und damit unsere Arbeit.
Was wichtig zu wissen ist, ist, dass ich bei Schocktrauma nicht in Erinnerung und Emotionen gehe. Das sprengt die Klienten komplett weg. Die Emotion ist der Träger dessen, was das Erlebnis traumatisch gemacht hat. Das war, was den Rahmen des Erträglichen und damit uns gesprengt hat. Jedes Mal, wenn ich das erzählen lasse, sprenge ich diesen Rahmen wieder, was den Klienten nur zwei Möglichkeiten lässt: entweder sie werden total überflutet und weinen, oder sie dissoziieren und können davon erzählen, aber ohne jeden Kontakt dazu. Beides ist nicht gesund für unsere Klienten. Wir müssen also auf eine sehr langsame, sehr integrierte, sehr titrierende Art damit umgehen, egal, mit welchem System wir arbeiten. Ich persönlich bin natürlich Fan der körperorientierten Methoden, aber egal, womit Du arbeitest, das sind grundlegende Dinge. Du willst nicht, dass Dein Gegenüber in die Dissoziation geht, was heißt, dass der Reiz oder die Erinnerung nur minimal sein darf. Alles andere haut einen einfach weg. Wenn ich Dich zum Beispiel frage, ob Du heute Morgen Butter auf dem Brot hattest, fällt es Dir schwer, Dich nur an die Butter zu erinnern; Du wirst Dich sofort an das ganze Frühstück erinnern, und das ist das Dilemma. Eine Frage zu einer Sache bedeutet für die Klienten, dass das ganze Ereignis wieder da ist, was oftmals viel zu viel ist.
Bei Entwicklungstrauma hingegen kann ich mit Emotionen arbeiten, da ist es oft wichtig, auch die Emotionen integrieren und regulieren zu können. In so einem Fall ist es unsere Aufgabe, dabei zu helfen, all das besser zu regulieren.
Dazu, was es mit der Regulation auf sich hat und welche Bedeutung diese für uns hat, komme ich beim nächsten Mal. Ich hoffe wieder, es war ein bisschen interessant und dass wir uns beim nächsten Mal wieder hören. Bis dahin tschüss.