Die unterschiedlichen Gedächtnisformen und ihre Bedeutung in der Therapie

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Die unterschiedlichen Gedächtnisformen und ihre Bedeutung in der Therapie

Hallo, ich bin Dami Charf, willkommen in Deiner Mailserie für Therapeuten und andere Fachleute, die mit traumatisierten Menschen arbeiten. Unser Thema heute ist unser Gedächtnis.

Unser Gedächtnis ist ein sehr wichtiger Teil des Verständnisses, das wir brauchen, wenn wir mit traumatisierten Klienten arbeiten wollen. Unser Gedächtnis ist nicht nur ein Gedächtnis, sondern gliedert sich in verschiedene Formen. Das Gedächtnis, das uns am meisten vertraut ist, ist das sogenannte explizite Gedächtnis, das ist das Gedächtnis, mit dem ich sagen kann, was ich heute Morgen gemacht habe, und Dir das beschreiben kann. Das heißt, ich kann das in eine logische Reihenfolge bringen, kann sagen, was ich wie gemacht habe, und mich Dir verständlich machen. Mit dem expliziten Gedächtnis arbeiten wir sehr häufig in der Therapie, meiner Meinung nach oft viel zu häufig, denn das explizite Gedächtnis ist nur ein kleiner Teil des Gedächtnisses.

Was uns auch sehr vertraut ist, ist das sogenannte biographische Gedächtnis, welches ein Teil des expliziten beziehungsweise deklarativen Gedächtnisses ist. Ab dem Alter von drei bis vier Jahren fange ich an, ein biographisches Gedächtnis zu haben. Bis dorthin kann ich mich ungefähr erinnern, manche Menschen haben auch noch Fragmente von früher, aber es ist meistens keine Zeitlinie, die ich da hineinbringen kann. Mein biographisches Gedächtnis sagt mir, dass ich mit vier Jahren das und das erlebt habe, dass ich mit fünf eingeschult worden bin, vielleicht weiß ich sogar noch, wie der Tag war, ich kann mich noch an meine Schultüte erinnern, weil ich schon immer gerne Süßigkeiten gegessen habe, ich kann mich an meine liebste Grundschullehrerin erinnern und kann sagen, was ich nach der Schule gespielt habe, wie mein bester Freund hieß und all solche Geschichten. Das ist mein biographisches Gedächtnis. Es ist ein sehr wichtiger Teil der Therapie, weil wir mit der persönlichen Geschichte von Menschen arbeiten.

Manche Menschen haben kaum Zugang zu ihrem biographischen Gedächtnis ihrer Kindheit und Jugend, das ist meistens Zeugnis dessen, dass das keine gute Zeit war für diese Menschen, und auch oft Zeugnis eines vermeidenden Bindungsmusters, weil hier zu wenige Erinnerungen angelegt werden. Denn wie entstehen Erinnerungen? Eigentlich nur dann so, dass sie greifbar bleiben, wenn sie einen emotionalen Gehalt für mich haben. Sie müssen einen emotionalen Gehalt haben, damit sie vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis transferiert werden. Wenn etwas keine Bedeutung für mich hat, vergesse ich es wieder. Wenn ich Dich frage, was Du vor drei, vier Tagen um elf Uhr morgens gemacht hast, hast Du es vielleicht im Kalender und weißt es, aber normalerweise vergessen wir unseren Alltag. Es bleiben eigentlich nur die Dinge übrig, die irgendeine Form von Bedeutung für uns haben. Diese werden so gespeichert, dass ich sie später abrufen kann.

Die viel wichtigere Gedächtnisform, die es noch gibt, vor allem für die Arbeit mit Traumatisierungen, ist das sogenannte implizite Gedächtnis. Dieses bildet sich dem Stand der Wissenschaft nach spätestens ab dem dritten Schwangerschaftsmonat. Viele pränatale Psychotherapeuten sagen aber, bereits ab der Zeugung bildet sich irgendeine Form von Prägung beziehungsweise Gedächtnis. Wir lassen das dahingestellt, ab dem dritten Schwangerschaftsmonat gibt es das implizite Gedächtnis definitiv und wir fangen an, Erfahrungen zu speichern. Diese Erfahrungen können wir unser ganzes Leben lang nicht bewusst abrufen, aber wir machen viele Erfahrungen, die in unserem impliziten Gedächtnis gespeichert werden.

Dieses implizite Gedächtnis beherrscht unseren Alltag, es beherrscht die Muster, die wir im Alltag haben – unsere Verhaltensmuster, unsere Gewohnheiten, unsere emotionalen Muster, all das sind Ergebnisse unseres impliziten Gedächtnisses. Wir brauchen also in der Therapie Möglichkeiten, wie wir an das implizite Gedächtnis herankommen, weil hier eigentlich die interessanten Informationen liegen. Da werden wir wahrscheinlich nur herankommen, wenn wir Erfahrungen mit den Klienten machen, wenn wir sie etwas spüren lassen, das sie interpretieren können. Wenn ich mich zum Beispiel zu einem Klienten nach vorne beuge, dann sehe ich schon das implizite Gedächtnis bei der Arbeit. Ich sehe, ob der Klient zurückweicht, ob seine Atmung sich beschleunigt oder sonst etwas. Hier manifestiert sich das implizite Gedächtnis, das den Klienten prägt und das für die Reaktion sorgt. Dann bekommen wir überhaupt erst Zugriff auf diese Muster. Rein faktisch würde der Klient vielleicht sagen, er habe vollstes Vertrauen zu mir, ich könne ruhig ein Stück näherkommen, aber wenn ich das dann de facto tue, zeigt mir sein Körper mit den gespeicherten Erfahrungen, ob dem wirklich so ist. Je mehr Du es schaffst, in diese tieferen impliziten Muster, Erinnerungen und Erfahrungen vorzudringen, desto tiefgreifender wird die Therapie sein und desto schneller werdet Ihr an Dinge herankommen, auf die wir über das explizite Gedächtnis und die biographische Erinnerung kaum Zugriff haben.

Das war es für heute, ich hoffe, es war wieder eine Anregung für Dich, und wir sehen uns dann bald wieder im nächsten Teil, ich freue mich darauf. Bis dahin ciao, Dami.

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